Der 22. Juni 2023 ist wohl nahezu allen Menschen in Kassel und der Region in bleibender Erinnerung: Das Wettertief „Lambert“ sorgte mit peitschendem Starkregen, Orkanböen und Hagel an diesem Nachmittag für einen Ausnahmezustand in Teilen Nordhessens.

Dächer wurden zerstört, Scheiben gingen zu Bruch, Bäume wurden entwurzelt, Straßen und Keller standen unter Wasser. Die Straßen im Kasseler Stadtgebiet waren zeitweise so stark überflutet, dass der Verkehr zum Erliegen kam, Autos weggespült wurden. Die Einsatzkräfte waren über etliche Stunden im Dauereinsatz.

„Unsere Stadt und Teile der Region wurden durch das Unwetter schwer getroffen. Innerhalb einer halben Stunde fielen bis zu 50 Liter Niederschlag pro Quadratmeter. Glücklicherweise sind dabei keine Menschen zu Schaden gekommen. Das haben wir vor allem der großartigen Arbeit der Einsatzkräfte und der großen Hilfsbereitschaft der Menschen untereinander zu verdanken. Allerdings gingen die Sach- und Anlageschäden in die Millionenhöhe.“, resümiert Oberbürgermeister Sven Schoeller. 

Über 800 Notrufe waren in den ersten beiden Stunden nach Beginn des Unwetters bei der Leitstelle der Feuerwehr eingegangen. Zeitweise waren alle 70 verfügbaren Notrufkanäle gleichzeitig belegt. 400 Einsatzkräfte waren die ganze Nacht unterwegs, darunter die Feuerwehren in Kassel plus Landes‐ und Stadtpolizei, KVG, Städtische Werke und KASSELWASSER. Zusätzliche Unterstützung kam von den Freiwilligen Feuerwehren aus Grebenstein, Helsa, Lohfelden und Baunatal. Die Helferinnen und Helfer vom Technischen Hilfswerk in Kassel und Wolfhagen wurden ebenso alarmiert.

„165 städtische genutzte Liegenschaften sind durch das Unwetter 2023 beschädigt worden. Sofort nach dem Unwetter wurden insgesamt 27 Gebäude und Freisportanlagen als komplett oder teilweise gesperrt gemeldet. Am schwersten hatte es die Kita Fasanenhof, die Sporthalle des Berufsschulzentrums Schillerstraße und das ruru‐Haus getroffen“, erinnert sich Stadtklimarätin Simone Fedderke. „Ich war damals zwar noch nicht im Amt, habe aber, wie alle anderen, bei den Bildern aus Kassel wirklich den Atem angehalten. Man merkt, der Klimawandel ist im vollen Gange.“

Starkregenvorsorge bleibt große Aufgabe

Starkregenereignisse ließen sich nicht verhindern und würden wahrscheinlich aufgrund des Klimawandels in Zukunft sogar noch häufiger auftreten, erklärt Fedderke weiter. „Daher beschäftigen wir uns als Stadt mit der Starkregenvorsorge.“ Innerhalb der Stadtverwaltung wurde eine ämterübergreifende Arbeitsgruppe ins Leben gerufen. „Aktuell analysieren wir beispielsweise, welche Gebiete oder Gebäude einem besonderen Risiko ausgesetzt sind und welche Maßnahmen perspektivisch umgesetzt werden sollen“, sagt die Stadtklimarätin. Unabhängig vom Unwetter 2023 hat KASSELWASSER eine Starkregengefahrenkarte für das Stadtgebiet Kassel veröffentlicht (www.kassel.de/starkregengefahrenkarte). Diese Karte zeigt die sich einstellenden, oberirdischen Fließwege und Überflutungsflächen bei einem Starkregen, mit einer statistischen Wiederkehrhäufigkeit von 100 Jahren. Sie kann einen wichtigen Beitrag leisten, um Grundstücke im Rahmen des Objektschutzes zukünftig vor Überflutungen durch Starkregen zu schützen.

Wer auf Grundlage der Karte oder aus der Erfahrung vom Juni 2023 weiß, dass sein Haus gefährdet ist, sollte entsprechende Schutzmaßnahmen durchführen. Auf der Webseite von KASSELWASSER (www.kasselwasser.de/startseite) sind erste Informationen zu möglichen baulichen Maßnahmen zusammengefasst. Darüber hinaus bietet KASSELWASSER auch eine persönliche Beratung an. Im Rahmen eines kostenpflichtigen Termins schauen sich Mitarbeitende das jeweilige Grundstück an und erörtern das Risiko sowie mögliche Sicherungsmaßnahmen.
Simone Fedderke: „Wir planen aktuell weitere Kanäle zu nutzen, um die Bevölkerung zu informieren und zu sensibilisieren. Es wird einen Flyer zur Starkregenvorsorge geben und nach den Sommerferien ist eine Informationsveranstaltung geplant. Auf Kindertagesstätten, Schulen, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen wollen wir zudem gezielt zugehen und diese mit Informationen versorgen, wie sie sich gut auf Starkregenereignisse vorbereiten können und mit ihnen ins Gespräch kommen.“

Bei der Stadtplanung, bei der Planung von Straßen und auch in anderen Bereichen werde die Gefährdung durch Starkregenereignisse ebenfalls mitgedacht, so Fedderke. So soll zum Beispiel versucht werden, möglichst wenige Flächen zu versiegeln.
„Um auf zukünftige Unwetterereignisse besser vorbereitet zu sein, werden Flachdächer beziehungsweise leicht geneigte Dächer zum Oberflächenschutz zu Gründächern umgebaut. Zumindest dort, wo es im Bestand die Statik zulässt. Außerdem haben diese begrünten Dächer den Vorteil, dass sie den Regenwasserabfluss zeitlich verzögern“, erläutert Stadtklimarätin Fedderke. Bei Neubauten gehöre dies zu den Standards der Stadt Kassel. Der Einsatz von fest eingebauten Leckage-Ortungssystemen gehört ebenso zum Standard.
Außerdem werden stärkere und widerstandsfähigere Materialien für die Dachdichtungen eingesetzt. Die Mehrkosten hierfür werden von der Versicherung nicht erstattet.

Abläufe bei Feuerwehr verfeinert

„Aus den Erfahrungen des Unwetters hat die Feuerwehr Kassel für die Fälle von stark erhöhten Notruf- und Einsatzaufkommen in der Leitstelle die technischen Möglichkeiten erweitert und konzeptionelle Abläufe verfeinert, um noch besser in der Lage zu sein, dezentrale, örtliche Abschnittsleitungen in den Feuerwehrhäusern im Stadtgebiet zur Koordination der Einsätze und der Einsatzkräfte einzurichten“, erörtert Sicherheitsdezernent Heiko Lehmkuhl. Auch wurde zusätzliches technisches Equipment zur Gefahrenabwehr beschafft. Die Erkenntnisse fließen zudem in die Fortschreibung des Bedarfs- und Entwicklungsplanes der Feuerwehr Kassel ein, welches die Vorhaltung der Feuerwehr personell sowie materiell beschreibt.

Die Mitarbeitenden von KASSELWASSER mussten aufgrund des Unwetters 23.000 Straßenabläufe von Blättern und Verstopfung befreien, ebenso die Zuläufe und die Durchlässe der verrohrten Gewässer. „Um den grundsätzlich erhöhten Anforderungen qualitativ und quantitativ gerecht zu werden, rüstet KASSELWASSER zum Sommer mit einem leistungsstärkeren Straßenablaufreiniger nach. Es handelt sich bei dieser Aufgabe grundsätzlich um einen kontinuierlichen Prozess, der künftig noch effektiver erfolgen wird“, so Lehmkuhl.

Schäden noch immer nicht alle behoben

Bei den Hagel‐, Sturm‐ und Elementarschäden wurden sofort Statiker, Wasserschaden‐Sanierer und Handwerksbetriebe mit den zunächst erforderlichen Beurteilungen und vorbereitenden Maßnahmen beauftragt, bevor eine Sanierung der geschädigten Räume möglich ist. Dazu zählten das Herstellen von Notabdichtungen, das Aufstellen von Trocknungsgeräten, die Entfernung von durchfeuchteten Putzflächen, Bodenbelägen und Unterdecken. „So konnten bis heute die Schäden an vielen Liegenschaften der Stadt Kassel vollständig behoben werden. Doch die hohe Auslastung der Fachfirmen wie etwa Dachdecker, Gerüstbauer sowie Maler stellt auch die Stadt Kassel immer noch vor große Unwägbarkeiten“, so Axel Jäger, Leiter des städtischen Amts Hochbau und Gebäudebewirtschaftung. „Auch die Witterung war für die Behebung der Schäden nicht zuträglich. Dacharbeiten etwa sind nicht bei Regen und nicht bei zu tiefen Temperaturen möglich. Außerdem verzögern Materiallieferzeiten die Sanierungsarbeiten.“

Weitere Probleme bei der Beseitigung der Unwetterfolgen waren

  • der zeitintensive Vorlauf für die Planung, die Abstimmung mit der Versicherung, die Entscheidung über die Art der Beseitigung (Reparatur oder Gesamt-Sanierung) sowie die Klärung der Förderfähigkeit,
  • die Kapazitäten bei den Sachverständigen und
  • die Erstellung und Prüfung der Sanierungsangebote.

Generalsanierung der Kita Fasanenhof

„Aus diesen genannten Gründen kann auch weiterhin die Kita Fasanenhof nicht genutzt werden. Hier hat sich die Stadt Kassel zu einer Generalsanierung entschlossen. Die Fertigstellung ist für Mitte 2026 vorgesehen“, so Fedderke. 

Bürgermeisterin und Jugenddezernentin Nicole Maisch ergänzt: „Die Kinder wurden 2023 von der Grundschule Fasanenhof und der Betriebskita Sternchen der Daimler Truck AG – betrieben von Impuls Soziales Management GmbH – sehr gastfreundlich und enorm spontan aufgenommen. Wir sind von ganzem Herzen dankbar, dass sie für uns in dieser Situation zusammengerückt sind und die Kinder so weiter betreut werden können. Mein Dank gilt aber auch den Kindern, den Eltern und unseren pädagogischen Fachkräften. Gemeinsam haben Sie sich in dieser Situation gegenseitig unterstützt: Fachkräfte waren plötzlich als Möbelschlepper und Raumgestalter unterwegs, Eltern haben andere Fahrtwege auf sich genommen und neue Bezugserzieher kennengelernt. Die Kinder haben ihre neue Umgebung neugierig erkundet und angenommen. Nur gemeinsam konnten wir diese Situation stemmen. Und ich freue mich wie sie sehr darauf, wenn wir wieder umziehen können. Dann in eine komplett sanierte Kita, bei deren Umbau viele Wünsche der Mitarbeitenden berücksichtigt wurden. Das werden wir auf jeden Fall mit einem großen Fest feiern.“

Aufgrund des Unwetters sind weiterhin zwei Klassenräume und ein Teil eines Treppenhauses der Paul-Julius-von-Reuterschule nicht nutzbar. Bis kurz nach Beginn des neuen Schuljahres sollen aber auch diese Schäden behoben sein. An der Goetheschule 1 ist die Nutzung der Physik- und Chemieräume noch eingeschränkt. Hier sollen die Sanierungsarbeiten voraussichtlich im November dieses Jahres abgeschlossen sein.
„Viele Gebäude hatten Schäden an Dächern oder Lichtkuppeln. Diese haben wir bisher überwiegend mit einer Notabdichtung versehen, so dass die Räume weiter genutzt werden können. Allerdings kommt es bei starken Regenfällen vereinzelt trotzdem zu einem erneuten Wassereintritt bei einigen Gebäuden. Hier muss dann die Notabdichtung instandgesetzt werden“, sagt Jäger.

Rund 15 Millionen Schaden

Die genaue Schadenssumme lässt sich erst nach Abschluss aller Maßnahmen beziffern, da bei der Ausführung weiterhin Unwägbarkeiten auftreten können, die im Vorfeld nicht absehbar sind. Die Sanierungsmaßnahmen – insbesondere die Dachsanierungen – laufen noch bis Ende 2025. Eine Ausnahme ist hier die Kita Fasanenhof, deren Generalsanierung voraussichtlich bis Mitte 2026 abgeschlossen sein wird.

Die Gesamtschäden aller Liegenschaften, die durch die Versicherung gedeckt sind, belaufen sich derzeit auf rund 6.873.000 Euro. Hinzu kommen Schadenssummen durch den zusätzlich zu tragenden Eigenanteil, der somit nicht durch die Versicherung gedeckt wird, von rund 2.155.000 Euro. Zudem sind Elementarschäden in Höhe von etwa 822.000 Euro nicht durch die Versicherung abgedeckt. Die Stadt Kassel hat zudem Fördermittel für Sanierungsmittel (energetische Verbesserung im Rahmen der Sanierung) in Höhe von rund 1.553.000 Euro beantragt, die aber noch nicht freigegeben sind und somit derzeit zur Schadenssumme zählen. „Hinzu kommen Folgekosten, da beispielsweise bei der Generalsanierung der Kita Fasanenhof auch die Haustechnik erneuert wird. Somit rechnet die Stadt Kassel mit einer Schadenssumme von circa 15 Millionen Euro“, summiert Stadtkämmerer Matthias Nölke abschließend.PM: Stadt Kassel


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