Ankauf von documenta-Kunstwerken
Neun künstlerische Positionen der documenta fifteen wurden für die städtischen und staatlichen Kunstsammlungen in der Neuen Galerie und Graphischen Sammlung angekauft. Der Magistrat der Stadt Kassel hat auf Vorschlag der Ankaufskommission entschieden, welche Kunstwerke erworben werden. Die Vertragsverhandlungen über den Ankauf wurden nun abgeschlossen.
Für die städtischen und staatlichen Kunstsammlungen in der Neuen Galerie und Graphischen Sammlung wurden folgende Kunstwerke erworben:
Amol K Patil Black Masks on Roller Skates
- Britto Arts Project Rasad – Food Objects
- Marwa Arsanios Who is Afraid of Ideology? Part 4 Reverse Shot
(Video) - Sebastián Diaz Morales Smashing Monuments (Video)
- Jatiwangi art Factory Perhutana Family Forest Terracotta
- Wajukuu Art Project Kahiu kogi gatemaga mwene
- Atelier Goldstein Raumpräsentation (mit 12 Arbeiten inkl. Zusatzwerk)
- Pınar Öğrenci Aşît (Video)
- Richard Bell Gallery Hand Outs
Der Ankauf der ersten sechs Werke wurde dabei aus dem städtischen Etat mit rund 290.000 Euro finanziert, während die anderen drei Objekte durch die Museumslandschaft Hessen Kassel (MHK), also das Land Hessen, für rund 130.000 Euro erworben wurden. Das Land Hessen und die Stadt Kassel kaufen in bewährter Weise in enger Abstimmung gemeinsam Kunstwerke der documenta für die Sammlungen an.
Über den Erwerb der Kunstwerke hatte zunächst die Ankaufskommission unter dem Vorsitz von Kulturdezernentin Dr. Susanne Völker beraten. Die Vorschläge hatte Dr. Dorothee Gerkens, Sammlungsleiterin der Neuen Galerie, gemacht. Der Kommission gehören die kulturpolitischen Vertreter der Fraktionen sowie die Vorsitzenden des Kunstvereins, der Kasseler Ortsgruppe des Bundesverbandes Bildender Künstler und des Museumsvereins an. Vertreten sind auch die Museumslandschaft Hessen Kassel und das Fridericianum.
„Die ausgewählten Werke sind von hoher inhaltlicher und künstlerischer Relevanz für die Kunst und die Arbeitsweise der documenta fifteen. So bilden sie künftig in der städtischen Sammlung das Konzept des Kollektivs ruangrupa ebenso ab, wie die Vielfalt der oft gemeinwohlorientierten künstlerischen Ansätze der d15“, betonte Kulturdezernentin Dr. Susanne Völker.
„Die Arbeiten lassen sich gut in die bisherigen Sammlungen integrieren, korrespondieren mit schon vorhandenen Arbeiten und erweitern so den Bestand auf bereichernde Weise“, ergänzte Dr. Dorothee Gerkens von der MHK, die dort die städtische Kunstsammlung kuratiert.
Die Kunstwerke wurden zum größten Teil über die Lumbung Gallery erworben, einem eigens anlässlich der Weltkunstschau gegründeten Verein, der in Form einer Kooperative die Vermarktung der Kunstwerke übernommen hat. Damit soll Künstlerinnen und Künstlern eine faire Entlohnung zuteilwerden, wobei sie 70 Prozent des Verkaufspreises erhalten. Die übrigen 30 Prozent fließen in einen „Common Pot“, über den gemeinschaftlich entschieden wird und der auch die Finanzierung der Strukturen der Lumbung Gallery ermöglicht.
Hintergrund
Amol K Patil „Black Masks on Roller Skates“
Amol K Patil, Black Masks on Roller Skates, 2022, Hübner Areal, Kassel, 17. Juni 2022, Foto: Nils Klinger
Von dem indischen Konzept- und Performancekünstler wurde eine Auswahl von 13 Skulpturen, 13 Gemälden sowie ein Film erworben. Seine Arbeiten wurden im Bereich des Hübner-Areals gezeigt. Amol K Patil beschäftigt sich mit dem Kastensystem und den familiären Bindungen.
Seine Kritik gilt dem auf Unterdrückung und Diskriminierung aufbauenden Kastensystem und er verfolgt in seinen Arbeiten insbesondere die Sichtbarmachung der Arbeiterklasse. So greift er in der Installation die Situation der Arbeitsmigranten in Mumbai auf. Deren moderne Wohnanlagen, die Chawls, wurden von den Migranten in dynamische Orte des Protests, des Theaters und der Musik verwandelt. Im Video bewegt sich ein Straßenreiniger auf Rollschuhen durch die Chawls. Die Musik hörend, blendet er die Außenwelt aus, eine Welt, die ihn als Reiniger braucht, aber als Mensch ausschließt.
Britto Arts Project „Rasad – Food Objects“
Britto Arts Trust, Rasad – Food Objects © Nicolas Wefers/documenta fifteen
Das Britto Arts Project wurde in 2002 als gemeinnütziges Zentrum für zeitgenössische Kunst in Dhaka, Bangladesch gegründet. Erworben wurden 218 Einzelobjekte sowie ein im Maßstab verkleinerter Nachbau des „Marktstandes“, der in der documenta Halle ausgestellt war.
Kritisiert werden die Kommerzialisierung und Normierung von Lebensmitteln sowie die globalen Marktmechanismen. Einige Objekte enthalten Statements über die Nahrungsmittelpolitik, die von den Agrargiganten aus den Industrienationen bestimmt wird. Beispiele sind: Fische, die sich in Pistolen verwandeln oder ein Blumenkohl, der zum Atompilz wird.
Marwa Arsanios „Who is Afraid of Ideology? Part4 Reverse Shot“
Die Künstlerin, Filmemacherin und Forscherin Marwa Arsanios lebt und arbeitet v. a. in Beirut, Libanon. Der Film handelt von der Verteilung von Landrechten, insbesondere von der Vergemeinschaftung eines privaten Steinbruchs in den Bergen Libanons mithilfe einer landwirtschaftlichen Genossenschaft.
Zudem beschäftigt sich Marwa Arsanios mit den Fragen nach Erbe, Besitz, Eigentum und Wert. Der vielschichtige Film reflektiert, inwiefern sich Land als lebendiges Objekt von Natur aus dem Eigentum widersetzt und wirft posthumanistische und ökologiephilosophische Fragen zu der Verflechtung des Geologischen, Historischen und Rechtlichen auf.
Sebastián Diaz Morales „Smashing Monuments“
Der Künstler und Filmemacher Sebastián Diaz Morales, geb. in Argentinien, lebt und arbeitet in Amsterdam. In seinem Film treten 5 Kuratorinnen und Kuratoren von ruangrupa (Indra Kusumaaka Ameng, Ade Darmawan, Gesyada Siregar, Farid Rakun & Naga Mirwan Andan) in Dialog über zentrale lumbung-Werte mit Monumenten in Jakarta.
Insbesondere sind das:
- endurance (Beständigkeit)
- friendship (Freundschaft)
- generosity (Großzügigkeit)
- independence (Unabhängigkeit) und
- not goodbye (kein Abschied)
Der Film ist künstlerisch eigenständig und für die Sammlung auch als Zeugnis zentraler Haltungen der documenta fifteen wichtig.
Jatiwangi art Factory Perhutana Family Forest Terracotta
Jatiwangi art Factory ist ein 2005 gegründetes Kollektiv aus Indonesien. In Jatiwangi, Indonesien, soll auf acht Hektar Wald ein Naturschutzgebiet entstehen, für das jede/jeder Landanteile in einer Mindestgröße von 4 mal 4 Meter erwerben kann. Ziel ist es, den fortschreitenden Flächenverkauf – und somit das Abholzen alter Wälder – an Fabriken von Firmen wie Adidas, Puma oder H&M zu stoppen. Stattdessen soll ein kollektiver Naturwald aufgeforstet werden. Das Projekt Kota Terakota markiert so einen Neuanfang für Jatiwangi. Die Stadt wird nach den Wünschen und gemeinschaftlichen Vereinbarungen ihrer Bewohnerinnen und Bewohner umgestaltet.
Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts entstand in Jatiwangi durch den Abbau von Ton die größte Ziegelindustrie Südostasiens. Hundert Jahre später, im Jahr 2005, ermutigte Jatiwangi art Factory – denselben Ton nutzend – die Bürgerinnen und Bürger aus Jatiwangi, durch Kunst und kulturelle Aktivitäten ein kollektives Bewusstsein und eine gemeinsame Identität für ihre Region auszubilden. Wer sich am Landkauf beteiligt, bekommt ein Zertifikat: einen gebrannten Ziegelstein mit der Aufschrift „Perhutana Family Forest Certificate“. Erworben wurden 25 Lizenzen.
Wajukuu Art Project „Kahiu kogi gatemaga mwene“ (2022) von Ngugi Waweru
Wajukuu Art Project ist ein Kollektiv aus Kenia. Das Wajukuu Art Projekt wurde 2004 von einer Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern mit dem Ziel gegründet, die Slums von Mukuru zu einem Ort zu machen, an dem sich Kinder mithilfe von künstlerischen und kreativen Praktiken entfalten können. Weiter sollen durch die Produktion und den Verkauf von Kunstwerken Arbeitsplätze geschaffen werden.
In dem Art Project kann nicht nur künstlerisch gearbeitet werden, es gibt dort auch Unterricht für die Kinder und einen Gemüsegarten. Aktuell werden dort etwa 100 Kinder betreut. Das Kollektiv beschäftigt sich auch mit den Wunden des kolonialen Erbes. Sie möchten mit ihrer Kunst den Blick auf Afrika verändern und eine Anbindung an ihre Traditionen bewirken.
Die Arbeit „Kahiu kogi gatemaga mwene“ („Wenn ein Messer zu scharf ist, verletzt es den Besitzer“) ist eine Installation aus Küchenmessern. „Wer sie immer nachschleift, bewirkt, dass sie scharf sind, aber sie brechen schnell“, erklärt der Künstler Waweru. So seien sie auch ein Symbol für Menschen in der Leistungs- und Konsumgesellschaft. Wajukuu Art Project wurde mit dem Arnold-Bode-Preis 2022 ausgezeichnet.
Atelier Goldstein Raumpräsentation mit insgesamt 12 Arbeiten
Das Atelier Goldstein, eingeladen von Project Art Works, vertritt neurodiverse Künstlerinnen und Künstler und gehört zum Lebenshilfe Frankfurt am Main e. V. Erworben wurde die gesamte Raumpräsentation mit insgesamt 12 Arbeiten von vier Künstlern, so wie sie im Hübner-Areal ausgestellt war.
Die Künstler im Einzelnen sind:
Franz von Saalfeld (1961 geboren in Ingelheim am Rhein, wo er auch heute lebt und arbeitet): 2 Aquarelle – Tusche und Wasserfarbe auf Papier: 1988 und 2003
Franz von Saalfeld malt bevorzugt Kleinstadtidyllen der 1950/60er Jahre. Mit Aquarellen, Texten und Bühnenbildmodellen spürt er der ungemütlichen Ruhe der Kleinstadt und seiner eigenen, eng verwobenen Biografie nach.
Hans Jörg Georgi (1949 in Frankfurt geboren): 3 Flugzeugmodelle
Hans Jörg Georgi, Flugzeugmodell © © MHK
Seit Jahrzehnten schafft Hans-Jörg Georgi Flugzeuge aus Pappresten. Entdeckt vom Atelier Goldstein, nahm Hans-Jörg Georgi in den vergangenen Jahren mit seinen Flugobjekten an zahlreichen internationalen Ausstellungen teil. Sie lassen sich teils als fliegende Städte lesen, die das Überleben der Menschheit sichern. Zu den drei Flugobjekten hat der Künstler jeweils eine Zeichnung als Schenkung angefertigt.
Julius Bockelt (1986 geboren in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet in Frankfurt am Main): mehrere Tuschezeichnungen
Julius Bockelt arbeitet seit 2004 im Atelier Goldstein und verfolgt ein klares künstlerisches Konzept, in dessen Mittelpunkt die Grenzen der Wahrnehmung und metaphysische Themen stehen. Sein eigenständiges zeichnerisches und fotografisches Werk beruht auf visuellen und auditiven Phänomenen.
Juewen Zhang (1995 geboren in Berlin, lebt und arbeitet in Langen und Frankfurt am Main): Zwei Kohlezeichnungen
Juewen Zhang ist der erste Studierende einer Kunsthochschule in Deutschland, der sich offen mit der Diagnose einer kognitiven Beeinträchtigung beworben hat. Seit 2019 studiert er freie Kunst an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach. Sein Fokus liegt, so auch in seiner Scheitelserie, auf minutiös gezeichneten Detailaufnahmen, die einen ganz anderen Blick auf die Figur richten.
Pınar Öğrenci „Aşît“
© © Pınar Öğrenci, Aşît/MHK
Die Künstlerin und Filmemacherin Pınar Öğrenci, geboren in der Türkei, lebt und arbeitet in Berlin. Der Film behandelt die traumatische Geschichte Ostanatoliens und thematisiert rückblickend die Überlebensstrategien von Armenierinnen und Armeniern sowie Kurdinnen und Kurden auf dem Gebiet der heutigen Osttürkei. Er stellt zudem eine Referenz an Stefans Zweigs „Schachnovelle“ dar.
Richard Bell „Gallery Hand Outs”
Richard Bell, Gallery Hand Outs© © Stadt Kassel
Der Künstler und Aborigine-Aktivist Richard Bell lebt und arbeitet in Brisbane, Australien. Das Gemälde „Gallery Hand Outs“ thematisiert die Komplizenschaft des westlichen Kunstsystems und des kolonialen Kapitalismus bei der Vereinnahmung von Kunst in ihre Systeme. Einer Generation von Aborigine-Aktivistinnen und -Aktivisten entstammend, setzt sich Richard Bell konsequent für eine Politik der Selbstbestimmung der Aborigines ein. Richard Bell war auf der documenta zudem zentral vor dem Fridericianum mit der „Aboriginal Embassy“ vertreten. PM:documenta-Stadt Kassel
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